So., 19.2.2006
 
 
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Kolumne
Donnerstag, 19.1.06
Such’s Balli!
Martina Hingis ist wieder da! Das ist die gute Nachricht – und gleichzeitig auch die schlechte.

Einem Künstler bei der Arbeit zuzusehen ist etwas Wunderbares. Leider gibt es im täglichen Leben selten Gelegenheit dazu, meist muss man mit dem fertigen Werk Vorlieb nehmen. Wobei natürlich jede Interpretation einer Mozart-Sonate auch etwas hat, das Millionen von Menschen zu Begeisterungsstürmen hinreißt.

Bei Martina Hingis sehen wir die Neuinterpretation von Tennis als Kunstwerk – eindrucksvoll vorgetragen durch die wohl einzige Künstlerin, die das Tennis zu bieten hat. Sagen wir mal, wenn Martina Hingis Pablo Picasso verkörpert, wäre Serena Williams etwa Hermann Nitsch. Auch Künstlerin, aber mit dem groben Keil.

Ich hoffe, ich bin nicht der einzige, der seine Meinung über das Comeback der ehemals jüngsten Nummer 1 gründlich revidieren musste. War ich noch vor zwei Wochen der festen Überzeugung, dass auch aus einer Weltklassespielerin nach dreieinhalb Jahren Pause maximal eine Mitläuferin werden kann, neige ich nach Ansicht der ersten bewegten Bilder vom fünften Kontinent dazu, die Rückkehr unter die Top 10 nur mehr als Frage der Zeit statt als Frage des Prinzips anzusehen. Die radikale Wandlung meiner Selbst hat zwei Ursachen:

Zum einen ist Martina offenbar ganz wirklich und immer noch eine Jahrhundertspielerin, mit der man sonst nur eine Graf oder Navratilova vergleichen kann. Wie Nav in Bezug auf Fitness und Steffi in Bezug auf Schlagpower kreierte Hingis eine neue Dimension des Sports, die sich am ehesten als Schachspiel beschreiben lässt. Man sieht bei jedem Punkt, wie sich die Zahnräder im Hirn drehen, wie der Verlauf des Ballwechsels von vorneherein durchgeplant ist. Spielintelligenz in Perfektion – „Such’s Balli“ für die Gegnerin. Dazu gehört auch eine mit freiem Auge erkennbare spielerische Weiterentwicklung, die vor allem den Aufschlag betrifft. Martina I bis 2002 pflegte beim Service das zweite Bein beizuziehen, Martina II hat sich das Ende 2005 bereits abgewöhnt und serviert plötzlich mit 180 statt 150km/h. Zur Spielintelligenz gehört halt auch, eigene Defizite zu erkennen und, falls erforderlich, mit alten Gewohnheiten radikal zu brechen, um Besseres entstehen zu lassen. Eine Einsicht, die sich übrigens so mancher heimische Spitzenspieler hinter die Löffel schreiben könnte, so nebenbei.

Zum zweiten aber, und das ist für mich persönlich erschreckend, zeigt das Hingis-Comeback klar und schonungslos die Wahrheit über die „Dichte“ im Damentennis auf. Wer von den Lesern sich Ähnliches im Herrenbereich vorstellen kann, der belehre mich gerne eines Besseren. Wenn einer drei Jahre Pause macht, und sei es auch ein Federer, der ist weg vom Fenster. Unwiderruflich und aus der Geschichte bewiesen. Hier sind Damen und Herren offenbar immer noch himmelweit auseinander – wesentlich weiter, als ich es noch vor ein paar Tagen für möglich gehalten hätte. Ausnahmetalent hin oder her, aber das dürfte es eigentlich nicht geben. Gibt es aber.

Schön ist jedenfalls, endlich wieder einen Kontrapunkt zu sehen zum „Scharf-Schärfer-Wettbewerb“ des Damentennis im Allgemeinen. Schön ist weiters, dass der Kopf immer noch das wichtigste Werkzeug eines Tennisspielers ist – wenn auch bei weitem nicht bei allen. Weniger schön ist, dass ein paar Monate konzentrierten Wiederaufbaus genügen, um das eindrucksvoll zu beweisen.

tennisweb.at-Kolumnist Arno Dupal ist freier Journalist und Tennistrainer.

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