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Freitag, 19.11.2004
Russisches Roulette
 
Warum die Russinnen die Damentour beherrschen – und was danach kommt.

 
War russisches Roulette früher mal ein Zeitvertreib, bei dem man mit geringer Wahrscheinlichkeit viel verlieren konnte, so haben die russischen Tennisspielerinnen die Regeln einfach geändert: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird eine von ihnen gewinnen.

Wenn von acht Masters-Teilnehmerinnen fünf aus einem Land kommen, verwundert es nicht einmal die Statistik, wenn eine davon am Ende ganz oben steht. Da im heurigen Jahr drei von vier Grand Slam-Turnieren ebenfalls mit russischen Siegerinnen endeten, haben die Girls aus dem Ostblock inzwischen eine Dominanz erreicht wie weiland die Ausnahmespielerinnen Hingis, Graf und Navratilova. Woran das liegen mag?

1) Russland ist ein großes Land. Die geographischen Voraussetzungen sind zwar kaum ausschlaggebend – und neun Monate Winter auch nicht eben tennisfördernd – aber dass unter gut 200 Millionen Menschen ein paar sind, die Tennis spielen können, verwundert wenig. Im Vergleich zur Bevölkerungszahl stehen wir sogar noch gut da – immerhin sind nur 14 Russinnen unter den Top 100. Zwar sind das um 13 mehr als Österreicherinnen, aber das weite Land hat 30mal mehr Einwohner als die Alpenrepublik.

2) Russland ist ein armes Land. Fürs erste keine optimale Voraussetzung für Profitennis, aber sehr willensbildend. Wenn Universitätsprofessoren 100$ im Monat verdienen, regt das Eltern und Nachwuchs zur intensiven Suche nach Alternativen an. Eine davon ist der Leistungssport. Unter der Hochblüte des Kommunismus war Tennis als bourgeois verpönt. Dann kam mit Boris Jelzin ein ausgewiesener Tennisfan an die Macht und schuf so etwas wie Strukturen. Seither gibt es in Moskau eine Tennisanlage mit über 40 Plätzen – mittlerweile ein wenig heruntergekommen, aber das Zentrum in Russland. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gibt es auf russisch gar keinen Ausdruck für „Der Sch... Ball verspringt sich schon wieder!“ Im Gegenteil – jeder Ball, dessen Absprung mit dem Aufprall korreliert, ist eine angenehme Überraschung.

3) Russen sind Meister der Improvisation. Schon nach dem Krieg waren russische Wecker sehr beliebt – einfaches Innenleben, aber unverwüstlich. Nach dem Motto „Wie setze ich meine beschränkten Möglichkeiten optimal ein?“ werkeln in Russland ein paar absolute Spitzenleute mit den Jüngsten. Elena Dementieva wurde, kaum dass sie den Schläger halten konnte, von der zweimaligen Wimbledon-Finalistin Olga Morozova trainiert, und Rausa Islanova werkt angeblich heute noch mit den Kleinsten in Moskau. Früher brachte sie ihrem Sohn sieben Jahre lang bei, wie er Tennis zu spielen hat – und so schlecht ist Marat Safin nicht geworden. Ein wenig ein anderer Zugang als hierzulande, wo am Beginn der Karriere entweder Autodidakten näheren Verwandtschaftsgrades oder der engagierte Jugendwart zu vermitteln versuchen, wie Ball und Schläger am besten Kontakt finden.

4) Russen sind konsequent, wenn sie etwas erreichen wollen. Weder hat die russische Mafia irgendwelche Ressentiments gegen eine Expansion nach Mitteleuropa, noch heranwachsende Tenniskinder eine Scheu vor Auslandsaufenthalten unbestimmter Dauer. Maria Sharapova übersiedelte im zarten Alter von neun Jahren kurzerhand zu Nick Bollettieri ans andere Ende der Welt – auch wenn das bedeutete, dass sie ihre Mutter zwei Jahre lang nicht sehen konnte. Svetlana Kuznetsova begab sich nach Spanien, um von Sergio Casal und Emilio Sanchez zu lernen. Letzteres versuchen zwar auch einige ÖsterreicherInnen – aber ein paar Jugendjahre abseits von Zuhause ohne finales Heimweh zu überstehen, bedarf einer gewissen Härte zu sich selbst.

5) Russinnen werden rechtzeitig geschwängert. Nein, ich will Ihnen die krauseste Theorie von allen nicht vorenthalten: Gerüchten zufolge werden russische Tennisspielerinnen so etwa mit 15 Jahren systematisch geschwängert, wobei der Fötus allerdings nach zwei Monaten gleich wieder abgetrieben wird. Zweck der Übung ist die mit der Schwangerschaft verbundene hormonelle Umstellung samt frühzeitigem Erwachsenwerden und höherer Belastbarkeit. Details dieser Vorgangsweise entziehen sich allerdings meiner Kenntnis: Gibt es womöglich für russische Trainer ein erweitertes Anforderungsprofil oder treiben in den Umkleideräumen bezahlte Schwängerer ihr Unwesen?

6) China ist ein noch viel größeres Land. Gut, das hat mit dem russischen Phänomen nicht besonders viel zu tun, aber ein Olympiasieg zweier Girls aus dem Land des Reises wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Die Chinesen sind vier Mal so viele Leute wie die Russen – und der chinesische Tennisverband investiert in den nächsten Jahren 400 Millionen $ in „Infrastruktur“. Damit werden sich wohl zwei, drei Tennisplätze ausgehen – und vielleicht auch der eine oder andere internationale Spitzentrainer. Wenn das zu greifen beginnt, kommt eine noch viel größere Lawine daher als die russische.

Im Land der Seligen spielen wir inzwischen immer noch russisches Roulette auf die klassische Art – mit Berufung auf ein bis zwei JahrhundertspielerInnen, die uns (mehr oder weniger) passiert sind.

tennisweb-Kolumnist Arno Dupal ist stellvertretender Chefredakteur des Magazins "Happy Tennis".

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